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Insights | 04.07.2020, von Paul Schoemaker

Ehrlichkeit überzeugt, keine Floskeln

Über ein einfaches Ideal in einer komplizierten Welt

Meine erste Erfahrung mit dem Thema Ehrlichkeit in der Medienbranche hat mich geprägt. Über 10 Jahre ist es jetzt her, dass ich als blutjunger, angehender Werbetexter in Erwartung meines ersten Auftrags unruhig auf meinem Schreibtischstuhl hin und her rutschte. Als meine damalige Chefin schließlich mit einer Hand voll Erwachsenenwindeln durch die Tür trat, konnte ich die Zeichen erst nicht richtig deuten. Ihre Erklärung erschien mir jedoch schlüssig. Als Texter sollte man sein Produkt in und auswendig kennen, um glaubhaft darüber schreiben zu können. In Anbetracht meiner Aufgabe machte das Sinn: ich sollte die Kundenstimmen für das neueste Windel-Modell eines großen Pflegeproduktherstellers texten. Wochenlang streichelte ich einfühlsam über das weiche Material und versuchte mir vorzustellen, wie dieses Produkt eines Tages mein Leben als inkontinenter, alter Mann verbessern könnte. Dennoch fiel es mir schwer, dem Wunsch nach besonders authentischen, aber offensichtlich gefälschten Kundenstimmen gerecht zu werden. Es brauchte locker zehn Korrekturschleifen, bis meine Arbeit gut genug gelogen war. Jahrelang suggerierten meine Texte auf der Produktwebsite, dass der neue Nässeindikator für eine fiktive Renate S. aus Kiel enorm hilfreich bei der Pflege ihrer Großmutter war. Ein Vorgeschmack auf all das, was grundsätzlich falsch läuft in Teilen der Kommunikationsbranche.

Wer in diesem Fahrwasser von Ehrlichkeit spricht, klingt schnell hoffnungslos naiv. Schließlich liegt es doch in der Natur der Sache, dass Werbung und Design manipulativ sind, oder? Wir inszenieren Unternehmen, Produkte, Botschaften in der Art und Weise, wie sie für unsere AuftraggeberInnen vorteilhaft ist. Das ist und bleibt die Essenz unseres Jobs. Wer sich damit nicht abfinden kann, wird es schwer haben, mit seiner Arbeit über die Runden zu kommen. Welche Rolle soll in diesem Konstrukt dann bitte Ehrlichkeit spielen? Der Werbe-Pionier Harry McCann hat 1912 die Philosophie seiner Arbeit wie folgt beschrieben: »Truth well told«. Auch wenn sein Mantra in Anbetracht der letzten 100 Jahre Werbung wie eine hohle Phrase anmutet, ist ihr Kern weiterhin hochinteressant. Er illustriert nämlich, dass Wahrheit ein dehnbarer Begriff ist. Gerade in Zeiten von Filterblasen und Fake News wird immer deutlicher, dass am Ende des Tages sowieso jeder seine eigene hat. Wahrheit wird zur Frage der Perspektive – und ist gerade deshalb kein brauchbarer Begriff im Kommunikationsdesign. Ehrlichkeit dagegen ist die konkrete Beschreibung einer Haltung, die man KundInnen – und vor allem den KundInnen seiner KundInnen – gegenüber einnehmen kann. Wer von Wahrheit spricht, meint meistens seine eigene. Ehrlichkeit dagegen bedeutet, dass man die Menschen, deren Aufmerksamkeit man beansprucht, ernst nimmt – und sich gerade deshalb nicht aufspielt, wie der Messias. Eine Marke, die schlichtweg geradeheraus sagt, wer sie ist und was sie kann – ohne mehrere Lagen Werbe-Shi-Shi – hat damit in manchen Branchen fast schon ein Alleinstellungsmerkmal.

»Everybody who tells the truth is interesting«
Quentin Crisp

Das Beste an der Sache: am Ende profitieren alle davon – wir DesignerInnen, unsere AuftraggeberInnen und deren KundInnen. Denn Ehrlichkeit ist letztendlich der Schlüssel zu Relevanz – und damit zu einer guten Arbeit. Egal, ob in einer Beziehung, im Job, in der Literatur oder in der Markenkommunikation: wenn man Menschen mitreißen möchte, gibt es nichts Überzeugenderes, als aufrichtig davon zu erzählen, wer man ist und was einen bewegt. »Everybody who tells the truth is interesting« – so drückt es der amerikanische Autor und Entertainer Quentin Crisp aus. Deshalb bestärken wir unsere AuftraggeberInnen immer darin, auf das zu vertrauen, was sie im Kern ausmacht – jenseits von leeren Floskeln und phantasievollen Übertreibungen. Wir sind noch niemandem begegnet, der oder die nicht eine gute Geschichte über sich und die eigene Arbeit zu bieten hatte. Unsere Aufgabe ist es, solche Geschichten möglichst einprägsam zu erzählen – egal, ob in einem Corporate Design, auf einer Website oder in einer Kampagne. 

Selbstverständlich ist absolute Ehrlichkeit in der Markenkommunikation ein zu großes Ideal, dem wahrscheinlich kein Unternehmen und keine Organisation dieser Welt gerecht wird. Doch wenn man es zumindest als Fixstern fest auf die Agenda setzt, hilft das nicht nur dabei, abends besser einzuschlafen, sondern steigert gleichzeitig auch die Qualität der Kommunikation. Mit ein paar Faustregeln ist das gar nicht so schwer umzusetzen: nichts vorgeben, was man nicht ist. Nichts versprechen, was man nicht halten kann. Die Menschen da draußen ernst nehmen und sich ihre Aufmerksamkeit verdienen. Und nicht zuletzt: bitte, bitte niemals Kundenstimmen fälschen!

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